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v.l.: Kai Hauprich (Hochschule Düsseldorf), Dr. Tim Lukas (Bergische Universität Wuppertal), Nina Rudolf, Charlyn Eisenlauer (Studentinnen Soziale Arbeit Hochschule Düsseldorf), Rüdiger, Marius (fiftyfifty Verkäufer)

Forschungsprojekt „Angsträume obdachloser Menschen“ stellt Ergebnisse ihrer Untersuchung vor



75 Menschen folgten am 22.08. der Einladung des Kulturzentrums
zakk, sich auf das Wagnis eines Perspektivwechsels einzulassen und sich
die Angsträume obdachloser Menschen zu erschließen. Knapp 20 Prozent der
Gäste waren dabei Betroffene, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße
hatten oder haben.
Den Einstieg in das Thema fand Dr. Tim Lukas von der Bergischen
Universität Wuppertal zum Thema „Die Angst ausRäumen - Sicherheit und
Unsicherheit im Bahnhofsviertel“. Dr. Tim Lukas untersucht im Projekt
„Sicherheit im Bahnhofsviertel“ (SiBa) die drei Städte Düsseldorf,
Leipzig und München. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung
und Forschung und unter Leitung der Stiftungsprofessur für
Kriminalprävention und Risikomanagement an der Universität Tübingen,
verfolgt das Verbundprojekt das Anliegen, Bahnhöfe und ihr Umfeld
sicherer zu gestalten, ohne dabei die spezifischen Charakteristika
urbaner Räume preiszugeben.
Die Erkenntnisse aus diesem und aus anderen Projekten bestätigen, dass
sog. „Angsträume“ von der Mehrheitsgesellschaft definiert werden und die
Antwort darauf häufig eine „Versicherheitlichung“ sozialer Problemlagen
ist, ohne diese Probleme tatsächlich zu lösen. Das Instrument der
Verdrängung als Antwort auf Szenebildungen zeigt dabei unterschiedliche
Facetten: neben dem Erfolg der Verlagerung von Szenetreffs durch
Vertreibung verschärft Verdrängung auch bestimmte Konflikte, indem bspw.
HelferInnen und Polizei- und Ordnungskräfte keinen Zugang mehr zur Szene
haben oder durch Verdrängung an einem Ort die sozialen Konflikte an
einem anderen Ort verschärft werden. Als Beispiel führt der
Wissenschaftler den Immermannhof an, der durch bauliche Umgestaltung die
Drogenszene in Richtung Mintropplatz und Worringer Platz verdrängt hat.
Nach Aussagen des Ordnungsamtes kommt es dort nun zu vermehrten
Einsätzen, was die These bestätigt, dass Verdrängung auch als ein
Sicherheitsproblem verstanden werden kann. Nicht zuletzt beschreibt Dr.
Lukas die Verdrängung als ein ethisches Problem, denn grundsätzlich
gilt, dass allen Menschen das gleiche Nutzungsrecht im öffentlichen Raum
zusteht, und dass Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße
haben, sogar häufig einen höheren Schutzbedarf haben.
Zusammenfassend beschreibt Dr. Tim Lukas die folgenden vier Aspekte
einer guten Sicherheitsarbeit: „Gute Sicherheitsarbeit muss die
vielfältigen Ursachen von Unsicherheitsgefühlen beachten, sie muss
gegenüber eigenen Effekten der Verdrängung und Versicherheitlichung
wachsam sein und sich den unbeabsichtigten Folgen der Beseitigung von
Angsträumen stellen. Nicht zuletzt muss gute Sicherheitsarbeit ihre
Sichtweisen und Wissensbestände prüfen und bereit sein, diskriminierende
Praktiken abzubauen.“
Nach dem inhaltlichen Einstieg folgte die Präsentation der Ergebnisse
des Forschungsprojekts „Angsträume obdachloser Menschen“ unter der
Leitung von Kai Hauprich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Hochschule Düsseldorf. Mithilfe verschiedener wissenschaftlicher
Methoden haben sechs Studentinnen die Angsträume von Menschen mit
Lebensmittelpunkt Straße erforscht. Im Vergleich wurde festgestellt,
dass sich die Orte, an denen sich Obdachlose und Menschen mit
Lebensmittelpunkt Straße unwohl fühlen, nicht von denen der
Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Die genannten Angsträume sind der
Worringer Platz, der Hauptbahnhof mit der Vorder- und Rückseite, der
Mintropplatz sowie die Altstadt. Die Polizei und das Ordnungsamt werden
dabei in einer ambivalenten Rolle von Schutz und Bedrohung wahrgenommen.
„In den Interviews mit den StudienteilnehmerInnen habe ich vertiefend
nachgefragt, was sie denn unter „Schikanen“ der Ordnungs- und
Sicherheitskräfte verstehen“, erläutert Kai Hauprich in seinem Vortrag.
„Dabei stellte sich heraus, dass dieses ambivalente Verhältnis bedeutet,
dass die Personen, die Geld für die Herstellung von Sicherheit bekommen,
bei Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße häufig selbst Angst auslösen.“
Zudem benennen die TeilnehmerInnen die Willkür, mit der sie vertrieben
werden, als eines ihrer größten Probleme: „Sie fragen sich, wann sie
sich wo und wie lange aufhalten dürfen, warum sie an einem Tag dort
sitzen dürfen, um warum es am nächsten Tag wieder verboten wird und ob
es von einzelnen Personen abhängt, was erlaubt sein soll und was nicht.
Sie haben keine Sicherheit, wann sie sich „richtig“ und wann sie sich
„falsch“ verhalten, obwohl sich ihr Verhalten nicht unterscheidet“, so
Hauprich.
Gleichzeitig haben die Befragten in Bezug auf ihre Angsträume sehr wohl
gute Verbesserungsvorschläge, wie Angsträume so umgestaltet werden
können, dass sie zu einem besseren Lebensgefühl beitragen könnten. „In
den Stadtrundgängen, die wir mit dem Fokus auf Angsträume gemacht haben,
sprudelten sie quasi vor guten und sinnvollen Verbesserungsvorschlägen,
ohne dass dabei verschärfte Kontrollen und Überwachungen genannt wurden.
Nur wird diese Personengruppe leider bei den tatsächlichen Planungen nie
befragt“, erklärt Kai Hauprich einen weiteren Aspekt der Untersuchung.
Als wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung steht somit, dass eine
gerechte Verteilung von Sicherheit und die unterschiedliche persönliche
Verletzbarkeit beachtet werden muss, und dass die Sicherheitsplanung der
Stadt eine Analyse der sozialen Situation erfordert, bei der alle
befragt und bedacht werden müssen. Weiterhin zeigt sich, dass Menschen
mit Lebensmittelpunkt Straße ihren Angsträumen dauerhaft und im
Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft nicht zeitlich begrenzt ausgesetzt
sind, dass sie aufgrund ihrer Situation verletzlicher sind und dass sie
benachteiligter sind, zu ihrem Recht zu kommen. Es braucht somit eine
Sensibilisierung und den Perspektivwechsel der Mehrheitsgesellschaft,
der Politik und der Ordnungs- und Sicherheitskräfte, sowie eine
Dokumentation von Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum. Andere
Städte haben dafür Clearingstellen eingerichtet oder Ombudspersonen
benannt, an die sich Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße und das
Ordnungs- und Sicherheitspersonal wenden können, wenn es zu einem
Vorfall kam. Die Aufklärung der Wohnungslosen über ihre Rechte und
Pflichten wurde als Wunsch der Befragten vielfach genannt und könnte als
Empfehlung der Studentinnen in geeigneter Form publiziert werden.
Nach den Vorträgen wurde die Gelegenheit der Diskussion genutzt, mit der
Absicht, die wissenschaftlichen Erkenntnisse an Gesellschaft und Politik
heranzutragen. Diese werden auf unterschiedlichen Ebenen weitergetragen.
Zum Einen wird es eine Dokumentation des Forschungsprojektes geben,
welche in Zukunft u.a. auf www.fiftyfifty.de und www.zakk.de digital
einzusehen ist. Zum Anderen werden Kai Hauprich und Dr. Tim Lukas auf
wissenschaftlichen Tagungen die Projektergebnisse vorstellen, um so eine
breite Öffentlichkeit zu erreichen. Aber auch auf lokaler Ebene werden
die Ergebnisse in die Verwaltung und Politik hineingetragen. „Die
Fachebene der Düsseldorfer Verwaltung und Politik sollte sich den
Erkenntnissen nicht verschließen. Ein gemeinsamer Prozess der Gespräche
mit den Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße kann nur zu einem Abbau
der Angsträume beitragen. Zudem wurden einige Anregungen bei den
unterschiedlichen Forschungsmethoden von Seiten der Probanden schon
benannt“, so Christine Brinkmann vom zakk.

Das Forschungsprojekt „Angsträume obdachloser Menschen“ ist ein
Kooperationsprojekt der Bergischen Universität Wuppertal, fiftyfifty,
der Hochschule Düsseldorf und dem Kulturzentrum zakk.


Für Rückfragen stehen Ihnen gerne zur Verfügung:
Kai Hauprich, Projektleiter „Angsträume“, Hochschule Düsseldorf:
kai.hauprich  [​at​]  hs-duesseldorf.de
Dr. Tim Lukas, Bergische Universität Wuppertal: lukas  [​at​]  uni-wuppertal.de
Christine Brinkmann, Kulturzentrum zakk: christine.brinkmann  [​at​]  zakk.de