Unannehmbar
Geehrte, verehrte, liebe Mitmenschen,
ich denke, darum geht es hier, dafür demonstrieren wir, dass wir Mitmenschen sein können, dass wir uns nicht aufhetzen lassen gegeneinander und zuerst in dem anderen, sei er nah oder fremd, den Menschen sehen, so wie auch wir selbst verlangen, gesehen zu werden.
Wir demonstrieren gegen die Anmaßung der AfD, für ein alternatives Deutschland zu sprechen, Fremdenfeindlichkeit als Köder nutzend, um breite Zustimmung zu gewinnen. Zustimmung auch zu Zeichen und Vorstellungen der ehemaligen nationalsozialistischen Bewegung, die für uns unannehmbar sind. Die Generation meiner Eltern, Ihrer Groß- oder Urgroßeltern, erlebte den Weg „Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität“ (Grillparzer), den wir seit 1945 versuchen, wieder zurückzugehen, im Schatten der Toten.
Meine Generation hat Kenntnis davon, wie es sich lebte mit den Nazis, ihrem Denken und Handeln. Das hat mich geprägt, mich zurückhaltend und aufsässig gemacht und aufmerksam darauf, welche Worte gesprochen werden und welches Handeln sie auslösen.
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Ich bedauere, dass die CDU hier nicht mit uns geht, als einzige Gruppierung in unserer Stadt sich dieser Demonstration gegen die AfD verweigert. Dabei hat ihr Vorsitzender Herr Merz noch vor wenigen Tagen immer wieder die AfD als den wichtigsten Gegner bezeichnet, zu der seine Partei in schärfster Konkurrenz stehe. Ist sie tatsächlich ein Gegner oder doch nur ein Konkurrent, mit dem man sich auch absprechen kann?
Dies steht zur Frage seit dem Skandal, als Merz das Programm der AfD zur Immigration übernahm und als verbindlich für die CDU präsentierte. Herr Baumann von der AfD konnte das Glück kaum fassen: „Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche! Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an, führt die AfD an.‘ Sein Jubelschrei bestätigte, dass Merz damit das Tor zur Verbindung mit der AfD aufgestoßen hatte.
Wirkungsmächtig dazu gehört auch die Faszination einer sich entfernenden Wirklichkeit, die sich optisch für uns in einem Bild präsentiert: Im Hintergrund ein hoher Raum, wie ein endloser Himmel, aus ihm hervorkommend in ruhender Bewegung en face, übergroß ein Gesicht – ich denke an das Schmerzensanlitz des mit dornengekrönten Sohn Gottes - doch nein es ist das Gesicht von Elon Musk, als Beherrscher des Raums. Und am unteren Rand des Fotos klein, doch scharf sichtbar, das Pult an dem Frau Weidel steht – und Musk lächelt und man sieht, er spricht zu ihr.
Immer entgleiten mir die Worte, weil ich überhaupt nicht über die ganz neue Welt reden kann.
Ich bin fast schon ein Jahrhundert alt – „lebe schon so sündhaft lang,“ wie mein Freund Ralph Giordano sein letztes Buch titulierte - und so müsste ich gelassen hinnehmen können, die übliche Entfremdung zwischen Menschen, Verleumdung und den verlässlich zu findenden Verrat, so wie die hingebungsvolle Liebe, den Glanz der Lust und endlich das Vergessen von allem.
Ich versuche bei dem Thema in ruhiges Fahrwasser zu kommen. Aber es gelingt mir nicht. Ich versuche, die Menschen der AfD zu verstehen. Aber es gibt etwas dabei, das nicht zu fassen ist, dass ich nicht fassen kann, weil es sich mit dem 3. Reich verbindet und so mit der Partei, gegen die wir hier zusammenstehen.
Ich fürchte mich vor der Wiederkehr der Sprache des 3. Reiches. Sie signalisiert mir den Schrecken, die Qual, ohnmächtig zu sein, unbeweglich verharren zu müssen und doch zu lesen und zu erfahren, was geschah und was mein Begreifen weit übersteigt.
Ich fürchte, dass immer wieder wir dem Hass ausgeliefert werden, auch dem Neid und die Trennung voneinander provoziert wird... und wir trotz allem ungerührt bleiben. Nur kein Aufsehen, es könnte unangenehm auffallen, gehen wir weiter. Und doch bleibt bei uns der Schrei der dem Tod Verfallenen, ermordet und erst spät beklagt, unleserlich ihre Namen.
Ich fürchte mich vor der Sprache, die überliefert wurde aus der Zeit, nun nachgesprochen, um deutlich anwesend zu bleiben, in unerträglicher oft sanfter Härte.
Es ist die Sprache der Herren auf der Wannseekonferenz, geführt im schlichten Ton einer Besprechung über ein Produkt, das verladen und entsorgt werden soll. Emotionslos, von kleinen Anfällen persönlicher Eitelkeiten unterbrochen, der eigene Stellung in diesem Raum geschuldet, herrscht gepflegter Umgang zivilisierter Menschen.
Muss ich das weiter erklären. Ihr Material: Menschen. Die Schwierigkeit der Aufgabe: Tausende und Abertausende aus allen Teilen Europas, zu denen Deutschland zu der Zeit eine Beziehung hatte, in Lager zu schaffen. Aussortiertes , "unwertes Leben".
Lesen sie einmal nach die Worte, die dort gesprochen und buchhalterisch dokumentiert wurden, die Sätze, die Fragen, ob und welches Gas, die ruhig gegebenen Antworten, nicht ohne persönliche Färbung vorgetragen, doch ohne jeden Widerhall dessen, was wir lernten in Büchern und mit der Kunst, auch in der Kirche, an der Seite Gottes.
Es ist das Unbegreifliche, bei dem das Herz getroffen wird, gerade so als ob ein Messer in unsere Brust fährt und das Herz herausholt. Es ist dieser Ton, der nun wieder auftaucht, dies Sprechen über Menschen, als seien sie keine Lebewesen, sondern Material, verwendbar oder nicht.
Wir haben heute die Flüchtlingsströme vor Augen, die unablässig über Kontinente hinweg ziehen, sichtbar die Boote, überfrachtet mit Menschen, eng nebeneinander im offenen Meer. Und hören von der Abwehr der Küsten – wo man auch früher die Feuer in den Leuchttürmen löschte, damit Schiffe in Seenot den rettenden Hafen nicht fanden, sondern am Ufer zerschellten. Alles kehrt wieder, erkennbar, in veränderter Gestalt. Der Mensch ein egoistisches Wesen, ein Aasfresser, der den hungrigen Nachbarn von seiner Beute vertreibt, um allein nur mit den Seinen sich davon zu nähren.
Verzeihen sie, ich wollte Ihnen nur ruhig erklären, warum wir nicht dulden dürfen, dass die AfD sich als Alternative durchsetzt, als Macht in unserem Land. Denn am Ende wird sie alternativlos herrschen wollen.
(Gerade höre ich ‚Remigration schafft Wohnraum‘. Was für eine zynische, gezielte Provokation, um Unruhe zu schaffen. Die AfDler haben keine Scheu davor, mit den Nazis verglichen zu werden. Im Gegenteil, sie benutzen die Vergangenheit und tragen sie in die Gegenwart.)
Ja und nun – was bedeutet dieser Augenblick für uns hier? Es ist eine gute Erfahrung, weil wir in Gemeinschaft sind, verbunden durch eine Gefahr. Es ist ein freudiger Aufbruch, den wir spüren, die momentane glückliche Sicherheit einer Überzeugung. Es kann gelingen, es muss gelingen etwas zu verändern, ins bessere zu bringen, etwas notwendiges zu tun, eigene Worte zu finden für Frieden, Gerechtigkeit … und ein Echo zu bekommen.
Ich sah auch eine Frau, sie ging gemächlich zwischen anderen Menschen, als suche sie allein einen Weg für sich. Eine Frau mit Pudelmütze, in einem Rock und einer dunklen Wetterjacke. Sie trug ein gemaltes Schild: ‚wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.‘
Goya malte ein Bild mit dem Titel: ‘Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer‘. Lassen wir uns nicht überwältigen. Nennen wir sie beim Namen.
Ingrid Bachér wurde 1930 in Rostock geboren und ist in Berlin und Lübeck aufgewachsen. Sie verfasste journalistische Beiträge, Kinderbücher, Hör- und Fernsehspiele, Erzählungen und Romane. Sie war Mitglied der Gruppe 47 und seit 1982 des westdeutschen PEN-Zentrums; von 1995 bis zu ihrem Austritt 1996 auch dessen Präsidentin. Von 2002 bis 2004 war sie Erste Vorsitzende der Heinrich-Heine-Gesellschaft in Düsseldorf. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Ingrid Bachér lebt in Düsseldorf und Italien. Sie gehört dem Beirat von fiftyfifty an und hat für unser Magazin schon etliche Beiträge geschrieben.
Ein guter Artikel über die Demo hier.