Keine Schlagstöcke gegen Obdachlose
Obdachlose demonstrieren mit Steinzeitkeulen
Der Ordnungs- und Service Dienst (OSD) der Stadt Düsseldorf soll laut einer Informationsvorlage für den zuständigen Ausschuss (OVA/076/2019) mit einem Einsatzmehrzweckstock (EMS) ausgerüstet werden. Die Mitarbeiter des OSD haben mit der Ausbildung an der Waffe bereits begonnen. Politische Gremien wurden in die Entscheidung nicht mit einbezogen.
In den letzten Monaten hat das Straßenmagazin fiftyfifty mehrere Fälle öffentlich gemacht, bei denen Mitarbeiter des Ordnungsamtes übergriffig gegen arme und wohnungslose Menschen vorgegangen sind. Die Stadt Düsseldorf hat sich massiv gegen die Vorwürfe zur Wehr gesetzt. Am Ende wurden aber alle Bußgelder gerichtlich eingestellt, die Stadt hatte vor Gericht stets das Nachsehen.
Viele obdachlose Menschen haben Angst vor dem Ordnungsdienst. Als augenzwinkernden Protest gegen die Aufrüstung des OSD mit Schlagstöcken hat fiftyfifty im Gegenzug Obdachlose mit „Äxten und Keulen“ (harmloses Spielzeug aus Plastik) ausgestattet. Außerdem trugen die Obdachlosen T-Shirts mit zwei verschiedenen Aufdrucken. Der eine lautet: „Wir finden Schlagstöcke töricht“ in Anspielung auf eine Äußerung von Oberbürgermeister Thomas Geisel, der gesagt hat, Wackersteine unter einer Brücke zur Zerstörung von Schlafplätzen obdachloser Menschen, wie von seinen Mitarbeitern abgelegt, seien „töricht“. Der zweite Spruch lautet, in Anspielung auf die Spielzeug-Schlagstöcke der Obdachlosen, mit denen diese sich symbolisch bei ihrer Demonstration vor dem Rathaus selbst verprügelt haben: „Helft dem OSD. Schlagt euch selbst.“ Auf einem Transparent, ganz im Look der offiziellen Werbung der Landeshauptstadt stand in fetten, roten Lettern: „Hau rein“. Und anstelle des offiziellen Slogans „Nähe trifft Freiheit“ textete fiftyfifty: „Schlagstock trifft Obdachlose“. Anstelle des Fernsehturms wurde ein Schlagstock in die Skyline der Stadt eingebaut.
„Die Bewaffnung des Ordnungsdienstes birgt die große Gefahr, dass OSD-Mitarbeiter die Waffe unverhältnismäßig gegen Obdachlose einsetzen werden und Auseinandersetzungen wieder eskalieren. Wir fordern die Politik auf, das sofort zu stoppen. Stattdessen sollte der OSD in Deeskalationstechniken ausgebildet werden“, erklärt Holger Kirchhöfer von der Altstadt-Armenküche. „Der Versuch, Schlagstöcke einzuführen, ist schon einmal gescheitert. Statt Aufrüstung brauchen wir Lösungen, die Stadt Köln hat dabei bereits 2004 gute Erfahrungen mit einer Ordensschwester als Ombudsfrau gesammelt“, sagt Julia von Lindern vom Straßenmagazin fiftyfifty. fiftyfifty-Geschäftsführer Hubert Ostendorf forderte, die Stadt solle sich bei den Obdachlosen für alle Schikanen entschuldigen, zumal alle angeblichen Ordnungsverstöße gerichtlich kassiert worden seien. Der Gründer der Straßenzeitung kritisiert, die Stadt werfe seiner Organisation immer wieder völlig zu Unrecht „Eskalation” vor. Stattdessen habe die Stadt selbst „ein Rechtsstaatproblem“, da sie permanent, obwohl die juristische Grundlage, der Paragraph 6 der Straßenordnung nach Meinung führender Juristen „unbestimmt“ und „rechtswidrig“ sei, wider besseren Wissens gegen angeblich „aggressives Betteln“, „Lagern“ und „störenden Alkoholgenuss“ vorgehe. Es stehe, so Ostendorf, zu befürchten, dass auch die Anwendung der Schlagstöcke gegen die Schwächsten in der Gesellschaft wieder zu juristischen Auseinandersetzungen führen wird und dass wieder einmal, wie bei einem dreisten Meineid eines OSD-Mitarbeiters gegen den Streetworker Oliver Ongaro, die Stadt vor Gericht unterliegen und danach die Schlagstöcke dennoch weiter einsetzen werde.
fiftyfifty hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das prüfen soll, ob es überhaupt erlaubt sei, einen kommunalen Ordnungsdienst auszustatten wie die Polizei. Das Ergebnis soll in Kürze vorgestellt und dem Oberbürgermeister übergeben werden.
Hubert Ostendorf, fiftyfifty-Geschäftsführer
Reden wir über Gewalt
Ich habe gestern die Informationsvorlage gelesen, und meine erste Frage war: Lösen wir Probleme, lösen wir gesellschaftliche Probleme, Probleme mit Lautstärke oder Müll durch Bewaffnung, durch Gewalt?
Reden wir also über Gewalt, und reden wir über Bewaffnung.
Ich bediene mich dabei zwei Aufsätzen von Benjamin Giffhorn von der BAG W, der im aktuellen „Handbuch der Hilfen in Wohnungsnotfällen“ zwei Kapitel zu „Gewalt gegen wohnungslose Menschen“ und „Vertreibung und Konfliktlösung im öffentlichen Raum“ verfasst hat. Das Handbuch wurde vom Sozialministerium NRW gefördert.
Wohnungslose Menschen werden aufgrund ihrer Lebensumstände häufiger und leichter Opfer von Gewalt. Sie sind schutzlos im öffentlichen Raum, nicht wenige von ihnen sind krank.
Wenn wir uns mit Gewalt gegen wohnungslose Menschen beschäftigen, müssen wir zunächst zwischen direkter und struktureller Gewalt unterscheiden. Direkte Gewalt meint Taten, bei denen es Täterinnen und Täter gibt. Strukturelle Gewalt meint gesellschaftliche Mechanismen, welche wohnungslose Menschen in der Ausübung ihrer Rechte, insbesondere ihrer Grund- und Menschenrechte, behindern oder einschränken, es geht also um systematische Diskriminierungen.
Der Schutz vor Gewalt im öffentlichen Raum ist sehr wichtig, da wohnungslose Menschen also häufig diskriminiert und ausgegrenzt werden, mit Vorurteilen zu kämpfen haben, überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalt werden und zu den besonders durch rechte Gewalt gefährdeten sozialen Gruppen zählen.
Gelegentlich werden Übergriffe von PolizistInnen sowie von OrdnungsamtsmitarbeiterInnen oder privaten Sicherheitsdiensten auf wohnungslose Menschen öffentlich bekannt. Giffhorn geht in diesen Fällen von einem ernst zu nehmendes Dunkelfeld aus, das er u.a. mit den Ängsten der Opfer, die Gewalttaten überhaupt anzuzeigen, oder wegen fehlender ZeugInnen erklärt.
Eine Schnittstelle zwischen struktureller und direkter Gewalt besteht nach Giffhorn immer dann, wenn Polizei, Ordnungsämter oder private Sicherheitsdienste systematische Diskriminierung von wohnungslosen Menschen durch Anwendung körperlichen Zwangs oder körperlicher Gewalt durchsetzen. Dies geschieht seiner Meinung nach vor allem bezüglich des Zugangs zum und der Nutzung von öffentlichen Raum.
Dass die Düsseldorfer Straßenordnung als Vertreibungsinstrument gegen wohnungslose und arme Menschen eingesetzt wird, ist hinlänglich bekannt. Sie dient dazu, Menschen aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung oder aufgrund ihres Verhaltens wie Alkoholkonsum nicht nur sozial, sondern auch räumlich auszugrenzen.
Die Wissenschaft beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Merkmalen von Sicherheit. Dabei ist das Gegenteil guter Sicherheitsarbeit eine exkludierende Sicherheitsarbeit. Dies meint bspw. die „Bestrafung der Armen“ (Wacquant 2009) durch Straßenordnungen mit Bettel- und Lagerverboten. Zudem weist die Verdrängung von Randgruppen zwei Probleme auf, denn Konflikte verschärfen sich durch eben diese Verdrängung, die Vetreibung an sich ist somit ein Sicherheitsproblem. Zudem ist es ein ethisches Problem, denn sie schränkt Grundfreiheiten im öffentlichen Raum ein.
Reden wir nun auch noch über Bewaffnung. Die Teleskopschlagstöcke, wie sie u.a. von Ordungsdezernet Zaum geplant sind, sind letztlich nichts anderes als eine Eisenstange und zur Gefahrenabwehr gänzlich ungeeignet. Für die Abwehr und als Eigenschutz bräuchte es einen Seitengriff, für die Abwehr sind sie zu kurz. Außerdem meint der Name schon, dass es sich eben um eine Schlagwaffe und nicht um eine Waffe zur Selbstverteidigung handelt. Um überhaupt Abwehr mit solchen Waffen zu erlernen, bräuchte es eine intensive Ausbildung an der Waffe. Vorgesehen sind aber lediglich ein Tag, an dem zusätzlich der Umgang mit Pfefferspray erlernt werden soll. Die aufgeführten Beispiele aus der Informationsvorlage zeigen jetzt schon, wie maßlos der Einsatz geplant ist. Es ist unerklärlich, wie ein Ordnungsamtsmitarbeiter, der bereits Pfefferspray auf einen Menschen richtet, eine Situation durch den Einsatz eines Teleskopschlagstocks weiter deeskalieren möchte.
Die Humanistische Union bewertete die Teleskopschlagstöcke im Grundrechte-Report im Jahr 2010 wie folgt: „Der gute alte, aber sperrige „Gummiknüppel“ hat offenbar ausgedient und ist reif fürs Polizeimuseum. Viele Polizisten bezeichnen ihn als unhandlich und häufig wirkungslos, wenn es darum geht, einen Störer angriffsunfähig zu machen. Nicht selten trafen die Schläge auf Gelenke, Wirbel, Nieren oder auch Köpfe von Delinquenten und Demonstranten, was mitunter zu starken Verletzungen führte.
Der neue Teleskopschlagstock dürfte tatsächlich nicht nur handlicher sein, sondern auch weit effektiver - aber höchst wahrscheinlich auch gefährlicher, denn er ist weder nachgiebig wie Hartgummi noch hat er eine Sollbruchstelle wie Holzknüppel. Er ist aus „Vergütungsstahl hoher Festigkeit“ (Werbung: „hohe Belastbarkeit“) und hat ein Gewicht von über einem halben Kilogramm - eine Kombination, die zu schweren, ja lebensgefährlichen Verletzungen führen kann. Damit lasse sich mühelos eine Kokosnuss zertrümmern, schreibt die Deutsche Polizei (2/07, S. 25), das Fachblatt der Gewerkschaft der Polizei, beeindruckt - also auch ein menschlicher Schädel.“
Teleskopschlagstöcke gelten rechtlich als Waffe und dürfen von Privatpersonen nicht mitgeführt werden. Zur Deeskalation sind Waffen nie geeignet, und wenn tatsächlich die Eskalation droht, muss die Polizei hinzugezogen werden. Die Ausstattung des Ordnungsamtes mit Teleskopschlagstöcken ist also schlicht überflüssig und gefährlich.
Und über welche Vorfälle reden wir überhaupt? Es geht um Ruhestörungen, um unangeleinte Hunde. Das sind keine Straftaten! Das Ordnungsamt ist keine Polizei, auch wenn manche MitarbeiterInnen manchmal anscheinend gerne so tun. Die Debatte um das Abmontieren der Martinshörner sei hier nur exemplarisch genannt.
Nun hat Herr Zaum bei unserer ersten Protestaktion im Februar diesen Jahres angeführt, dass immer wieder zwei Mitarbeiter*innen deshalb so häufig Bußgeldbescheide ausstellen, weil sie in einem Gebiet eingesetzt werden, in dem sich besonders viele wohnungslose Menschen aufhalten. Deshalb könne man auch nicht von Schikane reden. Meine Frage ist nun: Häufen sich zukünftig dann auch die Körperverletzungen im Amt durch den Einsatz von Teleskopschlagstöcken, einfach weil sich so viele wohnungslose Menschen im Einsatzgebiet aufhalten? Und wie steht es um die widersprüchlichen Aussagen von Herrn Zaum in Bezug auf Ordnungsamtskräfte in zivil? Werden dann auch OSDler in zivil bewaffnet auf Streife gehen?
Der Verlauf und der Ausgang des Prozesses gegen unseren Strretworker in diesem Frühjahr ist der beste Beweis und ich frage: Wollen wir diese Menschen bewaffnen?! Wollen wir Leute, die bereit sind, im Zeugenstand in Form einer uneidlichen Falschaussage zu lügen, wirklich auch noch bewaffnen? Ich sage Nein.
Zudem dachte ich, dass der Politikstil nach Gutsherrenart, wie es mit dieser Informationsvorlage von CDU und SPD gedacht war, überwunden wurde. Offenbar habe ich mich getäuscht. Wahlen kann man aber auch anders verlieren, wir brauchen einen Aufschrei in der Stadtgesellschaft, der Politik und Verwaltung von FDP, Grünen und Linkspartei. Wegducken zählt nicht.
Und last, but not least, helfen ein Ausbau von Sozialarbeit und dauerhafte Lösungen, damit Leute nicht mehr wohnungslos sein müssen, statt Bewaffnungen. Lassen Sie uns mit den geplanten 20.000 € etwas Gutes machen. Die Installation einer Ombudsstelle wäre dabei sicherlich ein guter Weg. Vielen Dank.
Julia von Linder, fiftyfifty-Streetworkerin, Dozentin an der Hochschule Düsseldorf
https://www.rtl-west.de/beitrag/artikel/plastikkeulen-gegen-ordnungsamt/
https://www.antenneduesseldorf.de/artikel/demo-protest-gegen-schlagstoecke-beim-osd-420379.html
https://www.lokalbuero.com/2019/11/28/obdachlosen-protest-keine-schlagstoecke-fuer-den-osd/
https://www.bild.de/wa/ll/bild-de/unangemeldet-42925516.bild.html
https://www.jungewelt.de/artikel/367827.staatsgewalt-aufr%C3%BCsten-gegen-obdachlose.html