Weise Bäume, starke Paare
Neues von Anna Löbner in der Galerie Andreas Brüning
Seltsam beäugt fühlt sich der Besucher in Anna Löbners gerade angelaufener Galerieausstellung bei Andreas Brüning. Einige Objekte erwidern stoisch seinen Blick: Baumaugen, wunderbar wörtlich genommen, fixieren ihn aus runzligen Gesichtslandschaften. Verblüffend lebendig wirken diese Arrangements, die Löbner nicht nur in delikaten Fotografien, sondern auch als subtil glasierte Keramikobjekte auf Augenhöhe präsentiert. Sie stellen den vorläufigen Endpunkt einer langjährigen Reihe kreativer Interventionen dar, die die Künstlerin inmitten der Natur, in freier Wild- und Waldbahn sozusagen, anzettelte. Anna Löbner flocht lebende Grasfrisuren, formte Schlangen aus Moos, hinterließ auf irgendeiner Lichtung ein „Schachbrett für Rehe“. In Glasgow, ihrem zweiten Wohnsitz neben Düsseldorf, versah sie die Stümpfe einer halben Hundertschaft ehrwürdiger Ulmen, die gerade der Kettensäge zum Opfer gefallen waren, per Farbe, Pinsel und Schablone mit lakonischen Grabinschriften („1896-2000“, „1830-2000“ usw.), worüber das städtische Gartenamt nicht amüsiert war; sie hatte die Jahresringe jeweils genau nachgezählt.
Nun also Baumaugen: eine stimmige Fortsetzung von Löbners ausdauernder, behutsamer Natur(unter)wanderung. Im Düsseldorfer Nordpark machte die Künstlerin, versehen mit Fotokamera und ein paar Glasaugen, die sie zufällig im Handel entdeckt hatte, im Frühjahr ihre ersten einschlägigen Experimente. Die imposantesten und für ihre Zwecke geeignetsten Bäume, um nicht zu sagen Baumwesen, fand sie dann jedoch bei Streifzügen durch Schottland. Frühere Natur-Arbeiten von Anna Löbner blieben meist flüchtige Inszenierungen, festgehalten allein mit der Kamera. Indem sie jetzt ihr Spiel mit den Baumaugen ins Medium der Keramik überführt, holt Löbner es, wie sie sagt, „wieder ins Zimmer zurück“, dorthin wo auch ihre anderen Arbeiten hängen.
Ungeachtet ihrer Liebe für ästhetische Streiche in offener Natur (oder, was sie ebenfalls listig praktizierte, im urbanen Raum): Anna Löbner, gerade 53 Jahre jung geworden, ist in erster Linie leidenschaftliche Malerin. An den hohen Wänden ihres Düsseldorfer Ateliers dominieren, dicht an dicht gehängt, Gemälde von eigentümlich konzentrierter Ausdruckskraft. Sie zeigen Menschen, meist Paare, Mann und Frau, in gleichsam idealtypisch stilisierten Situationen und Stimmungen. Eng sind die Ausschnitte gewählt, Gesichter, Oberkörper, Hände erzählen alles Wesentliche, keine unnötigen Details in Kleidung oder Raumhintergrund stören die ruhige Monumentalität und gebändigte Leidenschaft der Szenen. „Zeitlose Umarmung“ lautet einer der Titel, „Gerettet!“ ein anderer, „Trost“ ein dritter. Die Bilder geben sich dem Betrachter auf Anhieb als Teile eines großen Zyklus, eines work in progress zu erkennen, nicht zuletzt auch auf Grund ihrer bestechenden „farblichen“ Gestaltung: Sie alle sind ausschließlich in Schwarz-Weiß gemalt! Vor zehn Jahren begann Anna Löbner in diesem markanten Stil zu arbeiten; ein schwarzweißes Kaninchen, behauptet sie ganz im Ernst, habe ihr damals zu der Idee verholfen. Seither sind über 70 Schwarz-Weiß-Bilder entstanden – nur die gezählt, die vor den kritischen Augen der Künstlerin selbst Bestand haben –, und noch immer ist ein Ende der Werkreihe nicht in Sicht – allenfalls eine Rückkehr der Farbe, tauchen doch neuerdings auf manchen Bildern lustvoll farbenfrohe Einsprengsel auf.
Vor allem Anna Löbners Schwarz-Weiß-Serie war es auch, die das Interesse des versierten Düsseldorfer Galeristen Andreas Brüning weckte, woraus nun eine feste Zusammenarbeit geworden ist. Als gutes Omen kann gewertet werden, dass Brüning eines der Hauptwerke der Serie, nämlich die traumhaft ausbalancierte Komposition „Tänzer 2“ aus dem Jahr 2001, kürzlich auf Anhieb in die USA verkauft hat, wo es in einer Sammlung in Dallas gelandet ist. Für eine weitere von Löbners Schwarz-Weiß-Arbeiten wird man sich demnächst immerhin nach Freiburg zu begeben haben, ins dortige, auf Malerei der Gegenwart spezialisierte Museum für Neue Kunst.
Anna Löbners unruhiger Geist – sie hat einmal eine fiktive neunbändige „Löbner-Bibliothek“ binden lassen, deren letzter, in Form und Farbe aus der Art schlagender (Blind-)Band den selbstironischen Titel „Der unruhige Geist“ trug – ihr unruhiger Geist also gibt sich bei der Bestückung der kleinen Querschnittsschau in Brünings Galerie am Martin-Luther-Platz nicht mit Baumaugen und Schwarzweißbildern allein zufrieden. Sie zeigt dem Besucher außerdem noch einige ihrer neuesten „Schwimmbadunterwasserbilder“ – als passionierte, stets mit Schwimmbrille ausgerüstete Schwimmerin hat sie seit je einen Blick für diese eigenartig kargen Beckenlandschaften, auf deren Grund die Lichtreflexe tanzen –, und sie zeigt last not least ein paar skurrile, in Glasgow entstandene Stillleben, die sie wahlweise als „McLöbners“, „Family Members“ oder „Kitchen Pals“ (Küchenfreunde) bezeichnet. Unsere Klassifizierung als Stillleben mag, von der gewöhnungsbedürftigen neuen Schreibweise mit drei L’s einmal ganz abgesehen, irritierend wirken, sehen wir auf den Bildern doch höchst lebendige Tiere: eine echauffierte Kuh, einen betenden Hasen, einen grimmigen Löwen. Andererseits sind diesen Kreaturen befremdlich riesenhafte Haushaltsgegenstände beigesellt: eine Vase, ein Kerzenglas, eine Lampe. Hier scheint gehörig etwas nicht zu stimmen. Aber es stimmt doch: Bei den konterfeiten Tieren handelt es sich in Wahrheit um keramische Figuren, wie sie in britannischen Haushalten fleißig und voller Kennerschaft gesammelt werden – und wie sie eben auch die Küche von Anna Löbner und ihrem Lebensgefährten in Glasgow bevölkern. Die Tierchen haben förmlich darauf gewartet, ein wenig verrückt und verrätselt und in Öl verewigt zu werden.
Olaf Cless im Jahr 2009