Der Maleraffe und die Obdachlosenhilfe
Jörg Immendorff war einer der erfolgreichsten Künstler der Gegenwart. Die Arbeiten des Professors der Düsseldorfer Kunstakademie sind in vielen bedeutenden Sammlungen vertreten. Für die Obdachlosenhilfe fiftyfifty sind zwei Grafiken und eine Uhr entstanden, die seinen berühmten "Maleraffen" zeigen.
Angefangen hat alles mit frühen "Baby"-Bildern und dem legendär programmatischen Bild "Hört auf zu malen" von 1966. Es folgten agitatorischen Arbeiten aus den frühen 70er Jahren an. Immendorff, 1945 in Bleckede nahe Lüneburg geboren, erlebt die gesellschaftliche Umbruchsituation der späten 60er Jahre, die Studentenrevolte und die Proteste gegen den Vietnamkrieg an der Düsseldorfer Kunstakademie in der Klasse von Joseph Beuys, und - nur konsequent - sieht er sein eigenes künstlerisches Handeln, seine Themen aber auch seine Ausdrucksweisen mit den konkreten Lebenserfahrungen verknüpft und engagiert sich als aktives Mitglied in Arbeitsgruppen der KPD/ML. "Ich wollte Künstler werden" von 1972 oder "Alles geht vom Volke aus" von 1976 sind bildnerische Statements, die ausdrücken, was er in seinem 1973 erschienenen Buch "Hier und jetzt: das tun was zu tun ist" als seine künstlerische Position darstellt. Doch anders als viele Vertreter des sozialistischen Realismus entwickelt er einen eigenen Bildkosmos, in dem er aktuelle politische Themen und persönliche Erlebnisse mit Symbolen der Geschichte und eigenen Bildmetaphern collagiert. Deutsche Vergangenheit und Gegenwart sind für ihn ein unerschöpfliches Reservoir für seine Rechenschaftsberichte, in denen er sich in seiner Rolle als Künstler innerhalb der gesellschaftlichen Widersprüche kritisch reflektiert.
Obwohl längst als Künstler etabliert, etwa durch seine Ausstellungsbeteiligungen auf der "documenta 5" 1972 und der Biennale in Venedig 1976, arbeitet er von 1968 bis 1980 als Kunsterzieher an einer Düsseldorfer Hauptschule. 1976 lernt er den in Dresden lebenden Künstler A.R. Penck kennen, mit dem er ein Aktionsbündnis für gemeinsame Aktivitäten und Ausstellungen schließt. Geprägt durch diese Erfahrungen, die deutsche Teilung, die Unterschiedlichkeit der politischen Systeme und Lebensvoraussetzungen in beiden Staaten, entsteht sein erster großer Bildzyklus "Café Deutschland", 1977 - 1983. Dieser Zyklus hat Immendorff zum Visionär der Deutschen Einheit gestempelt. Mit dem immer wiederkehrenden Symbol der "Naht" spielt er nicht nur vordergründig auf den real existierenden Eisernen Vorhang, die Demarkationslinie in der deutschen Gemütslage an, sondern er benutzt sie in vielfältigen Variationen als Metapher für das Trennende und Widersprüchliche in allen Lebensbereichen, die es in seinem utopischen Entwurf zu überwinden gilt. Deutschland erlebt in den Achtzigern seine sieben fetten Jahre, der kritische Diskurs verfällt angesichts Perestroika und Wohlstandsdenken in einen Winterschlaf. Der Kunst wird von der Gesellschaft eine Funktion im allgemeinen Amüsierbetrieb zugewiesen. Den Klassenkampf ersetzt die Schlacht ums kalte Buffet. Für die "documenta 7", 1982, in der Stile und Haltungen versöhnt werden, errichtet Immendorff seine Großskulptur "Naht (Brandenburger Tor-Weltfrage)", in der er die Motive seiner "Café-Deutschland" Bilder eindrucksvoll ins Plastische übersetzt hat.
Danach erprobt er in mehreren Serien neue Malweisen und Themen. "Zeig was du hast" von 1983 ist eines seiner ersten Bilder, nachdem er das politische Café als Thema und Handlungsort seiner Bildgeschichten verlassen hat. "Einen Wechsel des Sujets vollzieht man, wenn die Neugier nachlässt und die Umstände sich ändern" äußert Immendorff in einem Interview. Diese Phase des Umbruchs und des Suchens dokumentiert die Wolfsburger Ausstellung als einen weiteren Schwerpunkt. Hier wird nachgezeichnet, wie der inhaltliche Wechsel vom Weltgeschehen zum Kunstgeschehen sich seit den 1987 entstandenen "Freundesbildern" und der "Rühmen"-Serie vollzieht. Mit formalen Neuerungen erarbeitet er sich neue Schwerpunkte als Maler. Figuren der Kunstgeschichte, wie Max Ernst, Francis Picabia, Marcel Duchamp, De Chirico, Kurt Schwitters, Max Beckmann, werden in immer neuen Konstellationen vorgestellt und schließlich zu ständig verfügbaren Prototypen verfeinert. Beuys, Penck, Baselitz und andere Freunde bereichern die Szenerie. In der "Café de Flore"-Serie (1987 - 1992) weitet er die Anzahl der Akteure in riesigen Bildpanoramen aus und offeriert dem Betrachter eine Dialektik der Kunst im 20. Jahrhundert. Für den, der Personen und Dingsymbole entschlüsselt, öffnet sich ein endlos erscheinendes Epos. Trotz allem bleibt Immendorff Maler: "Natürlich ist es legitim danach zu fragen was auf einem Bild zu sehen ist. Aber dabei darf es nicht bleiben. ... Ich male ... weil ich ein phantastisches, modernes, zwingendes, notwendiges, fremdes, anderes, neues, ungewöhnliches, Aufsehen erregendes Bild haben will." Immendorff hat sich stets Themenfelder erarbeitet, die ihn über Jahre beschäftigten: auf "Café de Flore" folgt ab 1993 "The Rake's Progress". Nach der Bühnenbild- und Kostümgestaltung zur gleichnamigen Oper von Strawinsky für die Salzburger Festspiele 1994, ersetzt die Opernbühne das Café. Dazwischen wieder ein "Bild mit Geduld", 1992. Immendorffs Methode, sich kritisch mit den Veränderungen des Zeitgeschehens und der Rolle der Kunst auseinanderzusetzen, Phasen der Aktivität solche der Ruhe und Neuorientierung folgen zu lassen, halten sein Werk aktuell und schützen es vor der Falle der Gefälligkeit, der Einbahnstraße eines thematischen Markenzeichens. Vor allen Dingen seine Selbstportraits gewähren dem Betrachter einen Blick in das Innerste der Künstlers.