Rosemarie Trockel: French Toast

Erläuterungen zu einer Benefiz-Edition für die Obdachlosenhilfe fiftyfifty

Wie schon bei den zwei vorher gegangenen Grafiken für die Obdachlosenhilfe fiftyfifty (und wie allgemein bei ihren Werken) spielt der Titel eine wichtige Rolle. Eine Grafik aus einem Jugendbild des Franziskanerbruders Matthäus Werner, früher Schirmherr von fiftyfifty, hat sie als Hinweis auf ein Luther-Gemälde von Lucas Cranach den Älteren „Junger Mönch“ genannt; ein weiteres mit dem Titel „Copy me“ enthielt unausgesprochen die Aufforderung, den mildtätigen Werken des Ordensmannes nachzueifern. Nun also „French Toast“, der französische Begriff für die hierzulande bekannte karge Speisung „Arme Ritter“, ein Begriff, der für Rosemarie Trockel, geboren 1952, wohl eher nicht in Betracht kommt. Aber wieder ist es die Vieldeutigkeit im Titel, die auf komplexe Interpretationen dieses Bildes der Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf verweist. Zunächst einmal ist das Bild „French Toast“ der nach Gerhard Richter, Bruce Nauman und Georg Baselitz auf Platz 4 der Weltrangliste des Kunstkompasses Stehenden ein Ex-Libris für ein Buch über das Essen – gemacht von Studentinnen der Akademie Mode und Design (AMD), in dem es um die Kulturgeschichte der Nahrung geht, um Hunger und Armut aber auch um hippe Rezepte von bekannten Blogger*innen und Fernsehstars wie die Back-Queen Enie van de Meiklokje oder Sterne-Koch Christian Rach. „French Toast“ könnte also eine andere Art von Kochrezept in dieser illustren Sammlung sein. Freilich eines, das vor allem das soziale Anliegen dieses tief schürfenden Buches mit dem nur vordergründig banalen Titel „Was gibt‘s zu essen?“ künstlerisch betont. „Was gibt‘s zu essen?“ und „French Toast“ - zwei Titel, die sich aufeinander beziehen.

Vor allem aber ist „French Toast“ wieder einmal eine Positionierung. Der leere, weiße Teller. Ein Hinweis auf Mangel und ungerechte Verteilung? Oder eine weitere Variation ihrer bekannten Küchenbilder wie etwa schwarze, runde Herdplatten auf hellen Untergründen, die, ebenso wie die frühen Strickbilder, auf angeblich typische, aber vor allem ausbeuterische Frauenarbeit und Rollenzuschreibungen hinweisen? Der gespiegelte Schriftzug „Votes for Women“ auf dem weißen Porzellanrand knüpft in seiner altertümlich anmutenden Typo und blauen Farbigkeit an die frühen Delfter Bilder von Trockel an, etwa an „Joy“ aus 1988, bei dem der Schriftzug „Freude“ ebenso gekontert wurde. Und natürlich ist der Ende des 19ten, Anfang des 20sten Jahrhundert aus dem Angelsächsischen stammende Slogan für das lange erkämpfte Wahlrecht der Frauen zugleich ein immer noch hochaktuelles Postulat: Gleiche Rechte und Chancen für Frauen, auch obdachlose, für Arme ebenso, wie sie für Reiche schon bestehen. Dass der Teller auf einem roten Untergrund steht, mag, wer will, als Hinweis auf revolutionäre Umtriebe verstehen, ohne die das Ziel vielleicht nicht zu erreichen sein wird. Oder auf den Blutzoll, den der Kampf um gleiche Rechte gefordert hat bzw. die Wunden, die die Erniedrigung von Frauen und deren jahrtausendelange Versklavung verursacht haben. Wer weiß?

„French Toast“ ist in jedem Fall eine komplexe Komposition mit vielfältigen Deutungsmöglichkeiten und zahlreichen Bezügen zum gesamten Œuvre der berühmten Bildhauerin und Konzeptkünstlerin. Typisch Trockel, eben.

hubert ostendorf