Zum Welttag der Bildung
„Jeder hat das Recht auf Bildung“, heißt es in Artikel 26 (1) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948. Ergänzend dazu: „Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muß zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen (…) beitragen.“ Bildung als Voraussetzung für die aktive politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilhabe. Menschen den Zugang zu Bildung zu verwehren heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht vorzuenthalten – und damit Entwicklungschancen zu verspielen - für den Einzelnen wie für die Gesellschaft. Bildung ist immer noch weit davon entfernt, als universelles Menschenrecht realisiert zu werden. Vielen Kindern und Jugendlichen aus sozial schlechter gestellten Familien bleibt dieses Recht verwehrt. Dies gilt weltweit nicht nur für die armen Länder des Südens, sondern zunehmend auch für die reichen Industriestaaten des Nordens. Laut der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur erhalten über 50% der Kinder in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen keine vollständige Grundschulbildung. Zudem sind laut UNESCO derzeit rund 780 Millionen erwachsene Menschen des Lebens und Schreibens unkundig. Davon sind fast zwei Drittel Frauen. Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, meint dazu:„Es muss ein Aufschrei durch die Welt gehen. Es ist unerträglich, dass Mädchen und Frauen so häufig sehr viel geringere Bildungsmöglichkeiten und damit weniger Aussichten auf ein erfülltes Leben haben. Die Situation in Afghanistan ist besonders verheerend“.
Besonders in Krisen und Konflikten sind Bildungssysteme gefährdet. So fliehen beispielsweise in jeder Minute Kinder in Myanmar, der Sahelregion, Südamerika und dem Nahen Osten vor Gewalt und Verfolgung. Jede Minute werden Jungen in Somalia, der Zentralafrikanischen Republik und anderswo als Kindersoldaten rekrutiert. Jede Minute müssen Kinder hungern, weil ihnen das Recht auf den Schulbesuch verwehrt wird, wo sie möglicherweise die einzige Mahlzeit des Tages erhalten würden. In Afghanistan verbieten die Taliban 80 Prozent der weiblichen Bevölkerung den Zugang zu Bildung, der Besuch von weiterführenden Schulen und Universitäten ist ihnen gänzlich verboten. Die Beispiele ließen sich beliebig erweitern. Doch auch in reichen Industrienationen wie Deutschland gibt es Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, besonders im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit und damit auf Chancengleichheit, wie die UNESCO in ihrem Weltbildungsbericht anmahnt. In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nach wie vor so stark wie in kaum einem anderen europäischen Land. „Der Bildungsstand des Elternhauses ist noch immer ausschlaggebend für das Erreichen der Hochschulreife“, konstatiert Maria Böhmer, die Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission. Die unterschiedlichen Bildungschancen sind in der Statistik ablesbar. Kinder aus nicht-akademischen Haushalten studieren nicht nur seltener, sie erreichen auch seltener die nächste Bildungsstufe. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt in einer Studie, dass es hierzulande sechs Generationen braucht, um von der untersten Einkommensschicht in die Mitte der Gesellschaft zu kommen, rund 180 Jahre also. Die soziale Herkunft ist immer noch ausschlaggebend für den Bildungserfolg und letztlich auch für den sozialen Aufstieg.
Bildung könnte ein wichtiger Hebel für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel sein, Motor für individuelle, soziale und wirtschaftliche Entwicklung, eine Investition in Frieden, wo Krieg herrscht, in Gleichberechtigung, wo Ungerechtigkeit und in Wohlstand, wo Armut herrscht. Darauf weist die UNESCO seit 2019 jährlich am 24. Januar mit dem „Welttag der Bildung“ hin und erinnert die Weltgemeinschaft an ihr Versprechen, zu dem sie sich in der „Globalen Nachhaltigkeitsagenda“ verpflichtet hat: „bis 2030 eine inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung für alle Menschen weltweit und ein Leben lang sicherzustellen.“
Hans Peter Heinrich