Kultur
Düsseldorf
Krawall und Satire
(oc). Die Ampel liegt in Scherben, der Wahlkampf nimmt Fahrt auf, mehrere Kanzlerkandidaten liefern ihre Schauläufe und auch der Karneval ist nicht mehr fern. Die rechte Zeit für einen Abend mit Martin Sonneborn, dem Vorsitzenden von Die Partei, für die er seit zehn Jahren im Europäischen Parlament sitzt bzw. agiert. Immerhin erreichte Die Partei bei der Europawahl 2019 ja auch 2,4 Prozent. Sonneborn ging einst auf die katholische Ursulaschule in Osnabrück, vermutlich der Beginn seines Knackses ins Satirische, war Chefredakteur des Magazins Titanic und skrupelloser Außenreporter der ZDF-heute-show. Einen Abend mit dem „Krawallsatiriker mit Profilneurose“ (Stern), wie er jetzt wieder in Düsseldorf stattfindet, muss man sich vorstellen als „ein ganz unaufgeregtes Multimediaspektakel mit lustigen Filmen und brutaler politischer Agitation zugunsten der PARTEI, die in Deutschland immer noch unbemerkt nach der Macht greift.“
12. 1., 20 Uhr, zakk, Düsseldorf, Fichtenstr. 40

Marie-Claude Deffarge, In einer Weberei, Sanaa, Jemen 1963. Museum Folkwang, Nachlass Troeller/Deffarge © Ingrid Becker-Ross Troeller
Essen
Fotografie mit Standpunkt
(oc). „Keine Bilder zum Träumen“ lautet der Untertitel der Fotoausstellung mit Arbeiten der Französin Marie-Claude Deffarge (1924-1884) und des Luxemburgers Gordian Troeller (1917-2003). Das Paar, heute etwas aus dem Blick geraten, steht für einen dezidiert politischen, kritischen Journalismus seit den 1950er Jahren. Seine zahlreichen Bildreportagen und Dokumentarfilme, vor allem im Stern gedruckt und im Fernsehen ausgestrahlt, informierten aus über 70 Ländern, bevorzugt jedoch aus dem Nahen Osten und dem globalen Süden. In ihrer Fokussierung auf soziale Ungleichheit und Ausbeutung, rassistische Überheblichkeit und die Unterdrückung der Frauen sind diese Erkundungen noch immer von frappierender Aktualität. Deffarge & Troeller begegneten den vielfältigen Lebensrealitäten mit Empathie und hielten mit ihrem dezidiert humanistischen Standpunkt nie hinterm Berg. Sogenannte „Wertfreiheit“ kam für sie nicht in Frage.
Bis 23. 2. im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, 45128 Essen. Im Rahmenprogramm u. a. eine Führung (18 Uhr) und ein Vortrag (19 Uhr) am 17. 1.

Oliver Kraushaar in „Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner“ © Matthias Horn
Duisburg
Einer lernt sich durchzuboxen
(oc). Bertolt Brecht war fasziniert vom Boxsport, besonders seit er 1924 den amtierenden Meister im Halbschwer- und Schwergewicht Paul Samson-Körner kennengelernt hatte. Brecht ließ sich von ihm dessen schillernden Werdegang erzählen und brachte ihn zusammen mit Elisabeth Hauptmann zu Papier. Zwei Berliner Gazetten druckten ihn fortsetzungsweise. Es ist die Geschichte eines Ausreißers und Taugenichts, der sich zu Lande und auf See mit prekären Jobs durchschlägt und manch herbe Lektion lernt. So auch auf einem Rummelplatz in Cardiff, wo er erstmals in den Boxring steigt, um seiner Freundin zu imponieren, stattdessen aber nach Strich und Faden vermöbelt wird: „Er langte mir einfach in die Visage und stellte dort ungeheure Veränderungen her.“ Der Schauspieler Oliver Kraushaar gastiert mit einem rund 1-stündigen Solo, einer Produktion des renommierten Berliner Ensembles, an zwei Abenden im Theater Duisburg. Ring frei!
23. und 24. 1., 19.30 - 21.30 Uhr, Theater Duisburg (Foyer III), Opernplatz, 47501 Duisburg

„Was man niemals in Frage gestellt hat, ist überhaupt nicht bewiesen worden“: Denis Diderot.
Düsseldorf
Wissen und Macht – einst und heute
(oc). Trumps Triumph in den USA ist nicht zuletzt ein Sieg der Macht über das Wissen; Wahrheit wird abgeschafft, Aufklärung denunziert. Vor diesem Hintergrund bekommt ein Vortrags- und Diskussionsabend des Düsseldorfer Aufklärungsdienst e. V. unter dem Titel Alphabet der Aufklärung – Über die Macht der Enzyklopädie besonderes Gewicht. Im ersten Teil unternehmen Olaf Cless und Mirjam Wiesemann einen Streifzug durch die bahnbrechende, im 18. Jahrhundert von Diderot und d’Alembert herausgegebene Encyclopédie, erzählen von deren riskanter Entstehungsgeschichte und lesen aus exemplarischen Artikeln des Mammutwerks (das auch viel Stoff zum Schmunzeln bietet). Im zweiten Teil widmet sich Lutz Neumann der Funktionsweise von Wikipedia, zeigt ihren Beitrag zur Demokratisierung des öffentlichen Diskurses und erzählt von seinen eigenen praktischen Erfahrungen auf der Plattform und in der säkularen Szene.
8. 1., 19 Uhr, Salon des Amateurs/Bar in der Kunsthalle, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf. Eintritt frei, Spende erwünscht

Maria Stepanova: Der Absprung. Roman. Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja. Suhrkamp, 143 Seiten, 23 Euro
Roman
Ausgesetzt im Niemandsland
Die Geschichte spielt im heißen Sommer 2023, seit anderthalb Jahren wütet der Krieg in der Ukraine. Die Schriftstellerin M., die aus dem Land stammt, das diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat, lebt inzwischen in Deutschland und bemüht sich, über alle Umbrüche hinweg ihr Schriftstellerleben fortzusetzen. Also nicht zuletzt Lesungen abzuhalten für die Leute, die da kommen in der „seltsamen Hoffnung, dass die Person an dem niedrigen Tisch mit den zwei Wasserflaschen irgendwie ihre Liebe wecken würde“. Als Schriftstellerin fühlt sich M. im Grunde weniger denn je, ihre Hauptbeschäftigung ist derzeit „die Lektüre von Frontberichten und Nachrichten, die von Tag zu Tag schlimmer“ werden. Und doch folgt sie, klar, der Einladung zu einem Literaturfestival irgendwo im nördlichen Nachbarland – ungenannt und doch erkennbar Dänemark, was aber wenig zur Sache tut, denn M.s Zugreise dorthin scheitert schon vor der Landesgrenze. Die Deutsche Bahn, wie könnte es anders sein, leistet dazu den entscheidenden Beitrag, hinzu kommen ein leerer Telefon-Akku und weitere Misslichkeiten. Und M., statt sich darin zu verbeißen, die Reise doch noch irgendwie zu retten, ergibt sich der Situation und der unverhofften Freiheit, die sie eröffnet. Sie lässt sich durch die fremde Stadt treiben, macht eine Bekanntschaft, besser gesagt zwei, wobei die zweite ein veritabler Zirkus ist. Dort sucht man gerade dringend eine Hilfskraft, der Job hat mit dem unvermeidlichen Kunststück des Zersägens einer Dame zu tun. – Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, mit ziemlich vielen Wassern gewaschene Autorin, erzählt & fabuliert das alles, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Die eigentliche Qualität ihres kleinen Romans Der Absprung aber liegt im beständigen Strom der Gedanken, Beobachtungen und Erinnerungen, der die Protagonistin auf ihrem Abenteuer kunstvoll begleitet.
olaf cless

Über Gebrauchslyrik, Punk & Co.
Gegen die „Kakophonie unserer Zeit“
Auf seinem bisherigen Lebensweg sei ihm die Lyrik stets eine treue Begleiterin gewesen, bekennt Campino, Frontmann der Toten Hosen. Als Remedium gegen die „Kakophonie unserer Zeit“ habe es ihm besonders die Gebrauchslyrik angetan, jene Gattung, deren Verse „im Umgang mit den Freuden und Schmerzen der Gegenwart notiert“ wurden, wie es Erich Kästner einmal auf den Punkt gebracht hat. Im Rahmen einer Gastprofessur an der Düsseldorfer Heine-Uni hielt Campino im April 2024 zwei Vorlesungen über Lyrik, Musik und Politik. Sie sind in seinem nunmehr zweiten Buch nachzulesen. Auf 160 Seiten nimmt er die Leser mit auf eine Reise durch Lyrik, das Schreiben von Liedern, die Wirkung von Musik und die deutsche Zeitgeschichte. Dabei wird er politisch und persönlich, erzählt von Düsseldorf und der Kunst, von der Nazi-Vergangenheit und dem eigenen Älterwerden, berichtet über seine Jugend und die Punk-Kultur, die ihm die Augen für das rebellische Potenzial der Lyrik öffnete und bis heute sein Lebensgefühl prägt. Im Zentrum stehen die Werke deutscher Dichter, die seine eigenen Songtexte inspiriert haben. Heinrich Heine und Bertolt Brecht etwa, besonders aber Erich Kästner, dessen Werk für ihn ein Modellfall für die Kraft der Lyrik ist, sich gegen Unrecht zu stellen und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Campinos Buch ist also auch ein engagiertes Plädoyer für die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft. Sehr informativ und lesenswert nicht nur für Campino-Fans.
hans peter heinrich
Campino: Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik. Piper Verlag, Hardcover, 160 Seiten, 16 Euro
Wörtlich
„Auf sein Land stolz zu sein bedeutet, dessen widerliche Seiten zu ignorieren.“
Jonathan Franzen, 65, US-amerikanischer Schriftsteller („Die Korrekturen“, „Crossroads“)