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Großstadtlerche im Dichterwald - Straßenmagazin - Magazin - fiftyfifty
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Foto: maschakaleko.com

Großstadtlerche im Dichterwald

Vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Sie erlebte ein paar leuchtende Jahre – und viele der Verfinsterung.

Eine junge, schwarzgelockte Frau in geblümtem Sommerkleid, lächelnd steht sie zwischen Büschen und Bäumen, verschmilzt förmlich mit dem Blattwerk: Das bislang unbekannte Foto, das neuerdings auch ein Buchcover ziert, zeigt Mascha Kaléko. Die unbeschwerte Idylle, die es ausstrahlt, war eine auf Abruf.
Kaléko, als Golda Malka Aufen 1907 im bitterarmen Galizien am Rande der Donaumonarchie geboren, emigriert im ersten Kriegsjahr 1914 mit ihren jüdischen Eltern nach Deutschland. „Fernes Glockengeläut durch den Frost/ Dunkel und Flüstern und Fliehen/ Und atmen daß dich keiner hört“, so hat sie viel später das dramatische Kindheitskapitel angedeutet. Erst einmal wollte sie dies alles vergessen und neu anfangen. Eine Herkunft aus Galizien erregte nur Naserümpfen. Mascha, lernbegierig, besucht in Hessen die Volksschule, dann in Berlin eine weiterführende Schule, die sie mit der Mittleren Reife abschließt. Es ist das Jahr 1923, die Inflation erreicht ihren Höhepunkt. „Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten/ der Jugend und vom ethischen Niveau./ Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten./ Ich aber leider trat nur ins Büro.“

In Versen wie diesen aus Interview mit mir selbst ist bereits der leicht saloppe Großstadtton zu hören, der viele ihrer Gedichte prägt, vermischt mit leiser Melancholie und einer Portion Aufmüpfigkeit. Hier beobachtet jemand sehr genau das ganz normale Leben, das auch das eigene ist, und weiß es scheinbar mühelos in Versmaß, Reime und auf den Punkt zu bringen.

Mascha Kalékos „paar leuchtende Jahre vor der großen Verdunkelung“, wie sie es später in einem Vortrag genannt hat, beginnen um 1930. In immer mehr Berliner Zeitungen und Zeitschriften tauchen Gedichte dieser zunächst Unbekannten auf. Natürlich will man sie in den Redaktionen auch persönlich kennenlernen – und staunt jedes Mal ungläubig, was für eine blutjunge Person, „im kurzen Sportmantel jener Jahre, die rote Mütze auf etwas windverwehtem Haar“, da auftaucht.
Einer, dem ihre unverwechselbaren Gedichte ebenfalls auffallen, so dass er sie sogar aus den Zeitungen schneidet, ist der Schriftsteller Franz Hessel, der auch als Lektor beim Rowohlt Verlag arbeitet. Es kommt zur Begegnung, aus der eine lebenslange Freundschaft werden wird – und zu Mascha Kalékos erstem Buch Das lyrische Stenogrammheft, beliebt bis heute und in zahlreichen Neuauflagen erschienen. Vom Chanson vom Montag bis zum typischen Sonntagmorgen, von Angebrochener Abend bis zum Katzenjammer-Monolog, von Randbemerkungen eines Liftboys bis zum Thema Kinder reicher Leute wird hier das Großstadtmenschenleben und -leiden hellwach durchmessen.

Wenn etwas an dem Buch zu wünschen übrigließ, so war es nur der Zeitpunkt seines Erscheinens: Januar 1933. Die „große Verfinsterung“ in Deutschland stand unmittelbar bevor. Bald erhielt Mascha Kaléko Berufsverbot, die Restauflagen ihrer Bücher – Rowohlt hatte 1934 noch einen Folgeband gewagt – wurden beschlagnahmt. Im September 1938, gerade noch rechtzeitig, kann Mascha mit ihrem Mann Chemjo Vinaver, Musiker und Musikforscher, und dem knapp zweijährigen Sohn nach New York emigrieren. Es wird ein mühseliges Überleben in der Fremde. Oft fehlt die Kraft fürs Dichten.

Dann kommt das Jahr 1956, Das lyrische Stenogrammheft wird neu aufgelegt, die Autorin wagt nach siebzehn Exiljahren wieder eine Reise ins Land, das sie vertrieben hatte. Es wird fast ein Triumphzug. Und doch bleibt da ein unheilbarer Bruch. Er offenbart sich drei Jahre später, als Kaléko in Berlin den Fontane-Preis erhalten soll. Sie erfährt, dass ein maßgebliches Jury-Mitglied lange der SS angehörte, und muss sich vom Generalsekretär der Akademie Sätze anhören wie „Ich bin kein Jude und habe mindestens so viel durchgemacht wie die Juden“. Sie lehnt die Auszeichnung definitiv ab. Die Jahre, die ihr bleiben, verrinnen in endgültiger Heimatlosigkeit, in tiefer Trauer um Sohn und Mann, die beide vor ihr sterben, und sich häufenden Krankenhausaufenthalten. Am 21. Januar 1975 stirbt Mascha Kaléko in Zürich.

Daniel Kehlmann hat jetzt eine wohldurchdachte Auswahl ihrer Gedichte aus allen Schaffensperioden vorgenommen und mit einem Vorwort versehen. Auch einige sprühende Prosatexte wie Spazieren in Greenwich Village oder der erwähnte Vortrag über Die paar leuchtenden Jahre finden sich im Buch und liefern überraschende Facetten. Der Band ist ansprechend ausgestattet, wie es sich gehört, schließlich enthält er, wie Kehlmann schreibt, einen wahren „Schatz an Form, Schönheit und weiser Melancholie.“
Olaf Cless

„Sie sind doch noch so schrecklich jung, sind Sie es denn wirklich?“ fragten die Herren Redakteure.

 

Mascha Kaléko: Ich tat die Augen auf und sah das Helle. Gedichte und Prosa. Ausgewählt und mit einem Vorwort von Daniel Kehlmann. dtv 2024, 256 Seiten, gebunden, 20 Euro. –
Zum Vormerken: Am 28. 3. um 19 Uhr stellen Christiane Lemm und Olaf Cless in einer Lesung im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf Mascha Kaléko vor.