fiftyfifty online lesen +++ fiftyfifty online lesen +++ fiftyfifty online lesen +++ fiftyfifty online lesen +++ fiftyfifty online lesen +++ fiftyfifty online lesen +++ fiftyfifty online lesen +++
 

Das aktuelle Heft online lesen?

Code hier eingeben

Du hast keinen Code? Den Code kannst du auf der Straße bei fiftyfifty-Verkäufer*innen für 2,80 Euro auf einer Rubbelkarte kaufen und dann bis zum Ende des Monats so oft du willst die fiftyfifty online lesen. Den Code erhältst du inklusive eines Loses, mit dem du tolle Preise gewinnen kannst. Das Los haben wir sinnigerweise Obdach LOS genannt.

Lyriker unter den Kabarettisten: Michael Feindler: Foto: Enrico Meyer

Ich flieh

Beim Blick in die Geschichte frage ich mich oft beim Lesen:
Was hätte ich getan? Wär ich im Widerstand gewesen?
Oder hätte ich die Grausamkeit als solche nicht erkannt?
Wär ich für Menschlichkeit gestorben? Oder doch nur für ein Land?

Ich werd es nie erfahren und das ist auch besser so,
denn ich hänge, wenn ich ehrlich bin, sehr am Status quo.
Aber sollte der sich ändern und käm ein Krieg – man weiß ja nie –,
dann bin ich fest entschlossen, dass ich flieh.

Während andere noch hadern würden, ob sie bald zur Waffe
greifen sollen, plante ich bereits, wie ich es schaffe,
mich in Sicherheit zu bringen, solange ich noch kann.
Es käme wohl auf Tage oder gar Minuten an.

Und alle, die mir nahsteh’n, würde ich genauso drängen –
zuerst zum schnellen Packen und danach zu Übergängen
in sichere Gebiete, damit ich weiß, sie zieh’n
gewiss in keine Kämpfe, sondern flieh’n.

Ich weiß ja, manche Menschen würden heute gar nicht leben
ohne tapfere Soldaten. Das stimmt schon, doch daneben
will ich keinesfalls die vielen, vielen Stimmen überhör’n
der Kinder und der Enkel von Deserteur’n.

Und wirft man mir auch vor, einfach feige einzuknicken
und mich egoistisch vor dem großen Kampf zu drücken
für Freiheit, für Gerechtigkeit, für Demokratie,
so bin ich mir doch sicher, dass ich flieh.

Für mich steht fest: Ich werde mich zur Flucht sehr schnell entschließen,
bevor ich drüber nachdenk, vielleicht doch einmal zu schießen,
denn wer weiß schon, was der Krieg, wenn er mal da ist, aus mir macht.
Ich will das gar nicht wissen. Deshalb geb ich tunlichst acht,

dass ich mich nicht als Teil des Schlachtfelds kennenlernen muss –
voller Angst und Hass und tief verzweifelt bis zum Schluss.
Es fiele mir schon schwer genug drauf klarzukommen, wie
ich bin und mich verhalte, wenn ich flieh.*

 

 

Michael Feindler

Geboren in Münster und aufgewachsen in Wuppertal, wo er das Kabarett Notbremse mitgründete. Zeitweise Poetry-Slammer, Politik und Publizistik in Berlin studiert, dank einer Hörsaalbesetzung erster Fernsehauftritt bei Phoenix. Ab 2010 mit zwei Kollegen und Band vierteljährliche Late-Night-Show Spätzünder im Dresdner Kabarett-Theater Herkuleskeule. 2019 Mitinitiator der Artists for Future. Feindler lebt heute in Dresden und tourt mit seinem sechsten Soloprogramm Durchbruch, aus dem das nebenstehende Lied stammt. „Bedrückend schöne und erhellende Gedichte stehen bei ihm Schlange“, sagt Max Uthoff über seinen jungen Kollegen, „und hinter der Fassade des juvenilen Charmes blitzt eine Hinterlist, die mich glücklich lächelnd zurücklässt.“ Im Rheinland ist Feindler wieder am 19. 9. 2025 (Leichlingen) und 27. 2. 2026 (Düsseldorf, Kom(m)ödchen) zu erleben. Auf seiner Seite michael-feindler.de geht es auch zur feindlerthek.de, wo man gegen geringe Nutzergebühr Zugriff auf seine Texte erhält.

*Beachten sie zum Thema auch die Seiten 16/17.