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Offen, ehrlich und „gnädig mit sich selbst“ - Philipp Schiemann in seinem Buch über Sucht. (Foto: Sixthkyu Verlag)

„Heute habe ich nichts genommen“

Der Düsseldorfer Autor Philipp Schiemann hat nicht nur Bücher und Beiträge über Naturreligionen in Westafrika, Lyrikbände sowie Hörbücher und Musik-CDs veröffentlicht und wurde dafür mit dem Literaturförderpreis der NRW-Landeshauptstadt ausgezeichnet. Nun hat er einen fesselnden Bericht mit Inneneinsichten aus dem Alltag eines Junkies geschrieben. Einige Auszüge aus seinem Buch.

Ich erinnere mich, als wäre es heute: Entweder bin ich endzügig auf der Suche nach Geld und in diesem Zustand getrieben wie bei eingeschalteter Vorspultaste. Oder ich habe das Geld aber noch keinen Stoff. Dann muss telefoniert werden. Adressen und Plätze müssen abgeklappert werden, die Zeit drängt. Habe ich ihn dann endlich in der Tasche, herrscht so lange Unruhe, bis der Konsum endlich vollzogen ist. (…) Mir ist schon längst das Steuer aus der Hand genommen worden, mein Wille hat keinen Bestand mehr. Ich bin ein Opfer der Umstände, weitgehend hilflos, will meinen Stoff und meine Ruhe haben. Ja, lasst mich in Ruhe. Oder besser: Gebt mir Geld. (…)

In Bob Dylans Song „Trying to get to heaven“ heißt es sehr schön: „Wenn du denkst, dass Du alles verloren hast, findest du heraus, dass es immer noch etwas mehr zu verlieren gibt.“ (…) Das Leben erschien mir nüchtern als ein kaum weniger großer Kampf, aber vor allem: Es entbehrte jeglichen Trost. Die Existenz tat einfach nur weh. (…)
Wer wirklich nichts mehr zu erwarten hat, nirgendwo mehr Kredit bekommt, Gesundheit, Besitz, Zimmer und Bett verliert, der erlebt einen Tiefpunkt von einer Qualität, die bodenlose, existenzielle Angst macht. (…). 

Eine weit verbreitete Vorstellung unter genesenden Süchtigen ist, dass jemand, der noch Medikamente nimmt, nicht clean ist. (…) Anfangs habe ich es als Stigma empfunden. „so etwas“ nehmen zu müssen, um klarzukommen. Bald jedoch war ich froh, dass meine depressive Grundstimmung so weit erhellt wurde, dass ich bestimmte Dinge überhaupt erst angehen konnte. Betroffenen kann ich nur dazu raten, gnädig mit sich zu sein. (…)

Nachdem ich mein Ein-Zimmer-Apartment aufgrund fristloser Kündigung und nachfolgender Zwangsräumung verloren hatte, wurde meine Lage schnell unangenehm. In der Obdachlosigkeit ist nichts mehr selbstverständlich, hier oder da ein paar Tage unterzukommen ist nicht die Regel und immer nur vorübergehend. (…) Ich wog bei 1,85 m Körpergröße nur noch sechzig Kilo und hatte immer größere Schwierigkeiten, die benötigte Menge an Drogen und Alkohol zu beschaffen und zu vertragen. (…) Das war in etwa die Ausgangslage für den finalen Versuch, in Eigenregie clean zu werden. Einmal pro Woche besuchte ich einen Neurologen, zu dem ich Vertrauen gefasst hatte (…). Ich begann eine Lehre zum Garten- und Landschaftsbauer, die ich wieder abbrach. Danach arbeitete ich befristet bei der Post als Briefzusteller, in Umzugsunternehmen, als Kurierfahrer und in vielen anderen Aushilfsjobs. Ich trieb exzessiv Sport, bis mich Verletzungen daran hinderten. Ich versuchte mich als Musiker und produzierte CDs, später schrieb ich Erzählungen und hielt Lesungen. Alles mit Achtungserfolgen aber immer geprägt von wirtschaftlichen Reinfällen. (…) Ich empfand das Leben als einen einzigen, großen, anstrengenden Kampf. Mit mir im Mittelpunkt. Ich lebte Suchtmuster in Beziehungen, in Sexualität, im Umgang mit Geld, mit Essen und in vielen anderen Bereichen. (…)

Clean zu sein, soviel weiß ich heute, muss die oberste Priorität haben, denn es ist Voraussetzung für alles, wirklich alles andere: für intakte Beziehungen, Wohnung, Arbeit, Interessen, ein gutes Leben, Zufriedenheit (…). Wenn ich rückfällig werde, dann verliere ich alles.

Philipp Schiemann: Heute habe ich nichts genommen, gebundene Ausgabe 168 Seiten, Sixthkyu Verlag, 19,99 Euro