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Die wollen doch nicht etwa politische Entscheidungen beeinflussen? Und auch noch mit unseren Steuergeldern? Foto: campact.de

Der große Maulkorb

Die 551 Fragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind eine Kampfansage an Zivilgesellschaft und Demokratie

Kurz vor der Bundestagswahl reichte die CDU/CSU-Fraktion eine sogenannte Kleine Anfrage an die noch amtierende Bundesregierung ein. Mit 551 Einzelfragen zum Thema „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ war sie so klein auch wieder nicht. Das Trommelfeuer der Fragen bezog sich auf Vereinigungen wie Correctiv, Omas gegen Rechts, Campact, Amadeo Antonio Stiftung, Deutsche Umwelthilfe, Animal Rights Watch, Agora Energiewende, Greenpeace und andere. Im Kern ging es darum, ob diese Organisationen ihren gemeinnützigen Status zu Recht besäßen oder nicht eher missbrauchten durch politische Meinungsbekundungen und Aktivitäten. Die 32 Seiten lange Drucksache von „Friedrich Merz, Alexander Dobrindt und Fraktion“, wie es am Ende heißt, mit ihrem meist standardisierten, für jede ins Visier genommene Organisation jeweils aufs Neue repetierten Fragenschwall atmet den Geist der Verdächtigung. Sie ist kein Dokument des „Mehr Demokratie wagen“, sondern des „Ab jetzt werden andere Saiten aufgezogen“. Es sagt: „Die ganze Richtung passt uns nicht.“

Dabei wird ein extrem restriktives, geradezu obrigkeitsstaatliches Verständnis von politischer Neutralität und Enthaltsamkeit zugrunde gelegt – eines, das mit der geltenden Meinungsfreiheit auf Kriegsfuß steht, also verfassungswidrige Züge trägt. Frage 114 zum Beispiel lautet: „Gibt es Belege dafür, dass der Attac Trägerverein e. V. einseitige Narrative in politischen Debatten fördert (…)?“ Wer bitte bestimmt, was ein einseitiges Narrativ ist? Die Bundesregierung? Die CDU/CSU? Gibt es zweiseitige Narrative? Handelt es sich bei den Narrativen der CDU um solche? Inwiefern? Weiteres Beispiel: Frage 129: „Inwiefern beeinflusst die Amadeo Antonio Stiftung politische Entscheidungsprozesse (…)?“ Was soll überhaupt die Frage? Ist es verboten bzw. wird mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit bestraft, wenn eine Stiftung politische Entscheidungsprozesse beeinflusst?

Aus den 551 Fragen der Unionsfraktion spricht die Anmaßung: Nur wir Parteien sind für die Politik im Lande zuständig. Die Anderen haben sich gefälligst rauszuhalten. Klar, in Artikel 21 des Grundgesetzes steht: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Es steht da aber nicht, dass nur sie dafür zuständig seien. Doch genau so verhalten sie sich oft und erfreuen sich im Übrigen ihrer großzügigen staatlichen Alimentierung gemäß Parteiengesetz. (So sollen vor ein paar Jahren Gäste eines Abendessens mit dem damaligen CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn zuvor aufgefordert worden sein, „jeweils 9.999 Euro für dessen Bundestagswahlkampf zu geben – und damit exakt so viel, dass die Spenden nicht im Rechenschaftsbericht der Partei auftauchen müssen“ (SZ 7. 5. 2021).

Fragen der Gemeinnützigkeit regeln in Deutschland das Steuerrecht, die Finanzämter und Finanzgerichte. Hier gibt es jedoch eine Menge grundlegender Unklarheiten. Der einschlägige Paragraf der Abgabenordnung bietet ein Sammelsurium gemeinnütziger Aufgabenfelder, das von Sport und Umweltschutz über Lebensrettung und Ortsverschönerung bis zu Modellflug, Hundesport und Karneval reicht. Politische Bildung und Förderung des demokratischen Staatswesens tauchen ebenfalls auf, bleiben aber vage umrissen. Seit Jahren fordern Fachleute ein zeitgemäßes, transparentes neues Gesetz.

Stattdessen verhängte der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Finanzgericht, bereits 2019 sein Urteil gegen den globalisierungskritischen Verein Attac (dem auch der CDU-Politiker Heiner Geißler angehörte) und entzog ihm die Gemeinnützigkeit. Der Kernsatz des Urteils lautete: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck.“ Heribert Prantl, gefragter Rechtsexperte und Autor, warnte damals umgehend vor den fatalen Konsequenzen dieser Rechtsprechung: „Das Urteil muss Sorgen machen; es hat toxische Wirkung. Es ist zu fürchten, dass nun kritische Vereine und Verbände finanziell ausgehungert werden. Schon gibt es aus der CDU/CSU Forderungen nach einer Ausdehnung des Urteils zum Beispiel auf die Deutsche Umwelthilfe.“ (SZ 2./3. 3. 2019)

Genau so ist es gekommen. Und die „Kleine Anfrage“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht einher mit einer Medienkampagne von Bild, Welt, dem Hetzportal Nius und anderen, die die Nichtregierungsorganisationen als „staatsgelenkt“ und „demokratieschädlich“ diffamieren, ja in Trump-Manier sogar als einen „deep state“ verteufeln. Die 551 Fragen von CDU und CSU lassen bis in die Formulierungsdetails die Absicht erkennen, das Anti-Attac-Urteil zum Präzedenzfall zu machen, um so mit der kritischen Zivilgesellschaft aufzuräumen.

Ganz so leicht wird das nicht gelingen. Die Deutsche Umwelthilfe etwa zeigt sich eher gelassen. Sie meldete, dass ihre Gemeinnützigkeit unlängst vom Finanzamt für die kommenden Jahre bestätigt worden sei und zählte auch gleich ein paar ihrer laufenden Aktivitäten auf: Erfolgreiche gerichtliche Schritte gegen den Pestizidkonzern Bayer Monsanto und Fortschritte im Kampf um eine Einwegverpackungssteuer, um der städtischen Müllflut zu begegnen. Weiter heißt es: „Hunderte unserer Anträge sind noch unterwegs. Die Einschränkung übergroßer Monster-SUV in unseren Städten, Maßnahmen gegen Lärm, das Verbot der verheerenden Silvesterböllerei, die Durchsetzung der Sauberen Luft und des Sauberen Wassers – überall wirkt unser Druck.“

Friedrich Merz rief auf einer Veranstaltung im August 2024 dazu auf, die Umweltverbände zu „verdrängen“. Wenn er sich da mal nicht verhebt.

Olaf Cless