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Ein unbequemer Geist ist tot. fiftyfifty trauert um Martin Paul

Der Tod ist ein ständiger Begleiter im Leben auf der Straße. Das wusste auch Martin Paul. Anfang Oktober ist er im Alter von nur 55 Jahre verstorben.

Martin war seit über vier Jahren Stadtführer im fiftyfifty-Projekt „strassenleben.org“. Er war von Anfang an und mit Begeisterung dabei. Und zugleich mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit. Er hatte kein Problem damit, seine Gäste mit einer Flasche Bier in der Hand unter Brücken zu führen, um zu zeigen, wo Obdachlose Platte machen. Selbst, wenn Promis mitgingen, wie der Sportreporter Manni Breuckmann oder ein Mitglied der Firmenleitung eines großen Modekonzerns. Martin war selbstbewusst genug. Seine Sprache, nicht immer nüchtern, strahlte Kompetenz aus. Er hatte manchmal eine leicht überhebliche, dozierende Art, mit der er sich allerdings beliebt machte, wie diverse mails und Posts unter Beweis stellen. Denn Martin berichtete stets authentisch und auch über Details aus seinem eigenen Leben. Etwa, was es heißt, bei Wind und Wetter im Eingang vor dem Kaufhof zu schlafen und dies sogar bei Duldung der Geschäftsleitung, oder, was es heißt, drogenabhängig zu sein, verachtet, von jugendlichen Neonazis des nachts, schlafend, verprügelt zu werden und tagsüber von den Stadtsheriffs vertrieben. Doch Martin ließ sich nicht einfach so vertreiben. Wenn es nötig war, setzte er sich auch mit Hilfe eines Anwaltes zur Wehr.

Martin war ein bekanntes Gesicht in Düsseldorf. Kein Wunder: Er war einer der ersten fiftyfifty-Verkäufer überhaupt. Er teilte sich seinen Verkaufsplatz vor dem noblen Carsch-Haus einträchtig mit einem niederländischen Kollegen – Martin hatte eine Zeit lang in Holland gelebt – und hatte viele Stammkunden, die ihm nicht nur Geld zusteckten, sondern auch Kleidung und Essen brachten. Doch der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein. Martin er war einer der wenigen mit einem ausgeprägten politischen Bewusstsein. Es genügte ihm nicht, ein paar Euro mit seiner Zeitung dazu zu verdienen. Martin hatte eine Botschaft. Und eine Vision. Er wollte nicht nur Opfer von Armut und Wohnungslosigkeit sein, sondern auch mitgestalten. So war er Gründungsmitglied des „Vereines für individuelle Lebensgemeinschaft“ vor 20 Jahren und Mitinitiator des deutschlandweit ersten selbstverwalteten Wohnprojektes für Punker, der er damals selbst noch war. Den Verein gibt es heute immer noch. Das erste Haus, in dem als randständig diskriminierte Menschen nach eigenen Vorstellungen ohne die belastenden Vorschriften eines Heimes oder einer Notunterkunft leben konnten, gibt es so nicht mehr. fiftyfifty und Diakonie haben nach der Kündigung durch den Vermieter ein neues Haus gekauft, in dem es nun ein bisschen bürgerlicher zugeht. Aber noch immer entscheiden der Verein und die Hausgemeinschaft über jede Neuaufnahme, wenn ein Platz frei wird, und über die Regeln im Haus.

Das Leben hat Martin oft schwer mitgespielt, er ist oft gefallen und ebenso oft wieder aufgestanden. Zuletzt brannte seine Wohnung aus und er musste wieder in ein verhasstes, städtisches Obdach ziehen. Doch selbst hier, wieder ganz unten, hat er sich seinen freien Geist bewahrt. Martin war ein rebellischer Zeitgenosse, er stellte auch uns von fiftyfifty oft unbequeme Fragen und erinnerte uns stets an unsere ursprünglichen Ideale. Zudem hat er auch immer die gesellschaftlichen Ursachen von Armut gesehen und kritisiert. Im Beirat von fiftyfifty vertrat er die Interessen seiner Kolleginnen und Kollegen von der Straße.

Wir trauern um einen ganz besonderen fiftyfifty-Verkäufer. Martin, du fehlst uns.

johannes dörrenbächer, hubert ostendorf