100 Steine gegen drohenden Knast
Ein Jahr ist seit den Kundgebungen in Lützerath vergangen. Für mindestens einen Düsseldorfer hat das Ganze nun ein heftiges Nachspiel: „fiftyfifty“-Mitarbeiter Johannes Dörrenbächer droht wegen eines ausgestreckten Mittelfingers sogar eine Haftstrafe (EXPRESS berichtete). Nun bekommt der Sozialarbeiter prominenten Beistand. Der renommierte Düsseldorfer Künstler Klaus Klinger schuf gleich 100 Kunstwerke, um mit ihrem Verkauf die Anwalts- und Prozesskosten zu begleichen.
Als „Wandkünstler“ machte sich Klaus Klinger (69) international einen Namen. Nun kümmert sich der Düsseldorfer Künstler, Meisterschüler von Gerhard Richter an der Kunstakademie, um einen, der derzeit mit dem Rücken zur Wand steht. Für Johannes Dörrenbächer, dem nach einer Demo für den Erhalt des Dörfchens Lützerath ein „besonders schwerer Fall des Landesfriedensbruchs“ vorgeworfen wird, schob Klaus Klinger nun Extraschichten, machte 100 Backsteine zu Kunstwerken. Auf jedem einzelnen prangt das gelbe „X“, das zum Symbol von Lützerath wurde. In diesem Zeichen kämpften die Demonstranten vergeblich dafür, dass das Dörfchen nicht dem Ausbau des Braunkohletagebau „Garzweiler II“ zum Opfer fallen sollte. Außerdem ist auf den Steinen neben einer Braunkohlebaggerschaufel der Satz „Der Dialog mit der Jugend wird fortgesetzt“ aufgeführt.
Vor dem Hintergrund, was Dörrenbächer in Lützerath widerfuhr, klingt das wie blanker Hohn. „Als man die Demo räumen wollte, sprühte ein Polizist meiner Freundin unvermittelt Pfefferspray ins Gesicht“, sagt Johannes Dörrenbächer. „Da habe ich mich hinreißen lassen und ihm den Mittelfinger gezeigt.“
Aufgrund des Vorkomnisses rechnete man beim Obdachlosenmagazin „fiftyfifty“ mit einer Strafe wegen Beleidigung. Daraus wurde nun zum vollkommenen Unverständnis der Mitarbeiter allerdings schwerer Landfriedensbruch, was mit einer Haftstrafe zwischen 6 Monaten und 10 Jahren bestraft wird.
„Es ist ein Unding, dass junge Menschen, die für etwas Gutes kämpfen wollen, so kriminalisiert werden“, sagt Klaus Klinger. „Als ich davon hörte, wollte ich sofort helfen. Ich konnte letztes Jahr selbst nicht bei der Demo in Lützerath dabei sein. Deshalb ist das nun mein Beitrag dazu.“
Für 100 Euro kann man ab sofort auf „fiftyfifty.de“ einen der kunstvollen Backsteine erwerben. Insgesamt können so 10 000 Euro zustande kommen. So viel wird der juristische Beistand für Johannes Dörrenbächer kaum kosten. „Es ist aber davon auszugehen, dass ich nicht der einzige harmlose Demonstrant bin, dem nun so etwas vorgeworfen wird“, sagt Johannes Dörrenbächer. „Deshalb wollen wir auch anderen Betroffenen Geld zur Verfügung stellen, damit sie sich rechtlichen Beistand leisten können. Es kann ja nicht sein, dass jemand nur wegen seiner bloßen Anwesenheit bei einer Kundgebung plötzlich vorbestraft ist, oder sogar im Knast landet.“ Colja Schliewa/EXPRESS
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Sozialarbeiter droht Haftstrafe
Ein Jahr nach den Protesten in Lützerath wird einem Düsseldorfer Sozialarbeiter Landfriedensbruch vorgeworfen. Nun soll eine Kunstaktion helfen. Von Sebastian Besau, NRZ
Fast genau ein Jahr ist es her, dass Aktivisten gegen die Räumung des Weilers Lützerath protestierten. Ein breites gesellschaftliches Bündnis kam damals zusammen. Auch Mitarbeiter des Düsseldorfer Obdachlosenhilfe-Vereins Fiftyfifty waren dabei, darunter der Sozialarbeiter Johannes Dörrenbächer. Doch gegen ihn laufen jetzt Ermittlungen: Er soll Landfriedensbruch begangen haben, in einem „besonders schweren Fall“.
Wer für so ein Vergehen verurteilt wird, muss mit mindestens sechs Monaten Haft rechnen – bis zu zehn Jahre sind möglich. Eine Anklage gibt es bisher nicht. Doch schon jetzt bekommt Dörrenbächer Solidarität: Mit einer besonderen Kunstaktion in der fiftyfifty-Galerie in Düsseldorf-Eller will Künstler Klaus Klinger den Sozialarbeiter unterstützen.
Ermittlungen wegen besonders schweren Landfriedensbruchs
Schon im November gab es wegen eines Vorwurfes gegen Dörrenbächer eine Anhörung: Er soll einem Polizisten einen Mittelfinger gezeigt haben. Das sei passiert, kurz, nachdem seiner auch anwesenden Freundin Pfefferspray ins Gesicht gesprüht wurde, sagt er. Auf Antrag seines Anwalts Johannes Pausch bekam er Einblick in die Gerichtsakte. Dabei habe er erfahren: „Der Polizist, der mir gegenüberstand, wurde gefunden und hat angegeben, sich gar nicht daran zu erinnern, beleidigt worden zu sein“, sagt er. Die Strafanzeige wegen Beleidigung habe dann stellvertretend der Vorsitzende der Einsatzhundertschaft gestellt. Sein Anwalt Pausch rechnet damit, dass dieses Verfahren eingestellt werden könnte.
Doch schon damals fand sich in der Gerichtsakte ein Vermerk: so liefen damals bereits Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs – noch „gegen Unbekannt“. Nun soll gegen Dörrenbächer eine „erkennungsdienstliche Behandlung“ durchgeführt werden, bei der Fotos und Fingerabdrücke aufgenommen werden. Gegen ihn sei Strafanzeige gestellt worden, heißt es in einem diesbezüglichen Schreiben der Polizei Aachen. Beim Straftatbestand Landfriedensbruch nach Paragraph 125a des Strafgesetzbuches habe es noch vor wenigen Jahren eine Verschärfung gegeben, erklärt Anwalt Johannes Pausch. So müssten von Beschuldigten keine konkreten Taten mehr ausgehen - es reiche, sich in einer entsprechend gewalttätigen Menschenmenge aufzuhalten, um schuldig gesprochen zu werden.
Im Schreiben an Dörrenbächer heißt es, er habe „durch verbal aggressives Verhalten gegenüber den Beamten“ und seine „physische Präsenz an vorderster Front der Störermenge“ die Bereitschaft zu Gewalttätigkeit der Gruppe gefördert. Dörrenbächer kann diesen Vorwurf nicht verstehen, erklärt der Sozialarbeiter. Nach der Lützerath-Demo, an der auch Greta Thunberg teilnahm, sei er mit tausenden anderen auf eine Wiese gelaufen. Diese sei nicht abgesperrt oder beschildert gewesen. „Wo der Ort der angemeldeten Kundgebung endete und der ‚nicht erlaubte‘ Teil der Wiese anfing, war für mich gar nicht ersichtlich.“ Auch, wo in der Menschenmenge die „vorderste Front“ gewesen sei, sei für ihn nicht auszumachen gewesen.
Lützerath-Proteste: Innenministerium hat jede vierte Straftat aufgeklärt
Zum Thema Lützerath veröffentlichte das NRW-Innenministerium am Mittwoch (10. Januar) eine Mitteilung: Ein Jahr lang habe eine rund 30-köpfige Ermittlungskommission tausende Videos und Fotos der Lützerath-Proteste mit insgesamt 3,4 Terrabyte Daten ausgewertet. Dabei sei etwa jede vierte der fast 600 registrierten Straftaten aufgeklärt worden. In vielen Fällen konnten zwar Gesichter, aber bisher keine Namen den Tatverdächtigen zugeordnet werden. Man gehe davon aus, mit Öffentlichkeitsfahndungen weitere Verdächtige identifizieren zu können, so das Innenministerium. „Unter den Klimaschützern tummelten sich auch radikale Klima-Chaoten, die gewaltsames Protestieren und Auseinandersetzungen mit der Polizei dem friedlichen Demonstrieren vorgezogen haben“, erklärte dazu NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Dörrenbächer und seine fiftyfifty-Kollegen halten das Verfahren gegen ihn für politisch motiviert. „Die Kriminalisierung von einem berechtigten, bürgerlichen Protest“, sieht darin fiftyfifty-Geschäftsführer Hubert Ostdendorf. Er befürchtet, dass noch gegen viele weitere, die sich an dem Protest beteiligten, und nach der Demo auf der Wiese standen, Verfahren eröffnet werden. Dazu gehören auch Ostendorf sowie weitere fiftyfifty-Mitarbeiter.
Kunstvolle Lützerath-Steine sollen Geld zur Unterstützung zusammenbringen
Um Johannes Dörrenbächer zu unterstützen, hat sich der Künstler Klaus Klinger nun etwas Besonderes ausgedacht: 100 Backsteine, die symbolisch für die abgetragenen Häuser von Lützerath stehen, hat er mehrseitig gestaltet. Auf der Innenseite steht: „Der Dialog mit der Jugend wird fortgesetzt!“, darunter sind Polizisten mit Helm, Schild und Schlagstock zu sehen. Auf der anderen ist schematisch die Schaufel eines Kohlebaggers abgebildet, auf der ein Eurozeichen prangt. Darüber trägt ein Klimaaktivist die Flagge der Lützerath-Proteste. Das Anliegen der Klimaaktivisten unterstütze er, sagt Klinger, er habe allerdings während der Proteste nicht vor Ort sein können. „Gewisser Weise ist das auch eine ‚Wiedergutmachung‘ dafür, dass ich nicht dabei war“, verrät er. Den Slogan habe er aus dem Kontext der Mai-Proteste 1968 in Frankreich übernommen, bei denen junge Leute in großer Zahl auf die Straße gingen.
Die 100 Steine kann man in der fiftyfifty-Galerie an der Jägerstraße in Eller kaufen, für 100 Euro das Stück. Die 10.000 Euro, die so zusammen kommen könnten, sollen Dörrenbächer beim Zahlen von Gerichtskosten helfen, die auf ihn zukommen könnten. Auch für den Fall, dass gegen weitere seiner Kollegen von Fiftyfifty Verfahren eröffnet werden, soll das Geld da sein. Und sollte letztlich niemand von ihnen vor Gericht stehen, dann käme das Geld anderen Lützerath-Aktivisten zugute, so der Plan des Künstlers.
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